Ohne Stress produktiv sein


Produktivität und Kreativität beruhen auf mehr Selbstorganisation als es auf den ersten Blick scheint.

Es ist Montagmorgen und die Arbeit türmt sich auf dem Schreibtisch. Im Posteingang warten 70 E-Mails auf die Bearbeitung. Das erste Meeting ist für 10 Uhr angesetzt. Dreißig Minuten Zeit, um ein ansprechendes Konzept auszuarbeiten. Doch die vielen unerledigten Aufgaben gehen Ihnen nicht aus dem Kopf. Ihre Gedanken schweifen zu den Sommerreifen, die Ihr Auto dringend braucht. Für den Hochzeitstag wollten Sie sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen und die Frist für die Einkommenssteuererklärung läuft in vier Tagen ab. Was zuerst erledigen? David Allen weiß, wie man seinen Alltag in den Griff bekommt und daran auch noch Spaß hat.

Lose Enden

Jeder klagt über einen Mangel an Zeit. Viele sind mit mehr Arbeit konfrontiert, als sie bewältigen können. 30 bis 40 parallel laufende Aufgaben sind an der Tagesordnung, weiß David Allen aus seinen Seminaren. Dabei bleibt es aber nicht. Vorgesetzte und Familienangehörige beauftragen uns täglich mit neuen Aufgaben. Stress komme aber nicht deshalb auf, weil wir zu viel zu tun haben, sondern weil wir Begonnenes nicht abschließen, so der Autor. Die losen Enden – wie Allen alles Unerledigte nennt – finden wir nicht nur im Job. Vielleicht haben Sie vor einem Jahr beschlossen, Ihre Garage zu entrümpeln. Doch Sie konnten sich bis heute nicht dazu aufraffen. Mittlerweile machen Sie einen großen Bogen um die Garage, mit dem Wissen, dass sich noch mehr Gerümpel angesammelt hat.
Die losen Enden fordern auch im Privatleben ihren Tribut. Sie sind letztlich dafür verantwortlich, dass wir uns nicht zu 100 Prozent auf eine Aufgabe konzentrieren können. Das Unterbewusstsein lässt sich nicht austricksen, es merkt sich die offenen Rechnungen und erinnert uns ständig daran. Das raubt psychische Kraft und schränkt die Kreativität ein. Werden Aufgaben auf die lange Bank geschoben oder häuft sich zu viel unaufgearbeitetes Material an, wächst der innere Widerstand, diese Aufgaben zu erledigen. Für die Bewältigung der täglichen E-Mail-Flut, des ununterbrochenen Telefonklingelns oder für das Balancieren mit dringenden und weniger dringenden Terminen kennt David Allen ein Zauberwort: Gelassenheit. Wer entspannt und überlegt seinen Tag angeht, wird effizienter, kreativer und produktiver sein.

Die Gefahr beim Prioritäten setzen

Mehr an Aufgaben vor sich zu haben, als man bewältigen kann, erfordert mehr als nur Gelassenheit. Allen wird in seinen Seminaren immer wieder mit der Frage konfrontiert, welche Arbeit zuerst zu erledigen sei. Es gibt keine einfache Antwort. Ein erster Schritt ist, sich bewusst darüber zu werden, dass es wichtige und weniger wichtige Aufgaben gibt. Es ist oft leichter sich in die dringenderen Anforderungen des Augenblicks verwickeln zu lassen, als sich mit der Post, der E-Mail und seinen übrigen losen Enden zu befassen.
Allzu oft schiebt man Stress und die verringerte Effektivität auf das Unvorhergesehene. «Das kann nur passieren wenn Sie kein gutes Gefühl bei der Erledigung dieser Dinge haben», stellt der Autor klar. Die meisten Zeitmanagementmodelle gehen von der klassischen Prioritätensetzung aus. Die Erfahrung hat Allen jedoch gelehrt, dass diese Modelle im Alltag kaum anwendbar sind. Er rät seinen Schülern, sich im Zweifelsfall auf die Intuition zu verlassen.

Ansprüche und Ziele der eigenen Arbeit herausfinden

Um Prioritäten setzen zu können, müssen Sie sich klar darüber sein, worin Ihre Arbeit besteht und was deren Ziele und Ansprüche sind. Um diese Fragen zu beantworten, bedient sich der Autor eines sechsstufigen Modells:

  1. Aktuelles Handeln: In diese Kategorie fällt alles, was erledigt werden muss. Das sind Anrufe, die Beantwortung von E-Mails oder zu übermittelnde Tagespläne,
  2. Laufende Projekte: Vieles von dem was an Tätigkeiten anfällt geht von 30 bis 100 laufenden Projekten (=Arbeiten) aus. Wie die Installation eines Computers oder die Veranstaltung einer Verkaufskonferenz,
  3. Verantwortungsbereiche: Die meisten Projekte geben Zuständigkeiten vor. Mit dem Beruf und auch mit dem Privatleben sind einige grundlegende Verpflichtungen und Aufgaben verbunden. Werden diese Verpflichtungen auf Listen festgehalten, fällt die Einschätzung der Projekte leichter,
  4. Ziele für ein bis zwei Jahre: Im privaten und beruflichen Bereich gibt es Dinge, die unter Dach und Fach gebracht werden sollen. Diese Ziele beeinflussen unsere nächsten Handlungsschritte,
  5. Ausblick auf drei bis fünf Jahre: Firmenstrategien, Umweltentwicklungen oder Umstellungen, die das Leben in neue Bahnen lenken sollen, zeichnen sich bereits heute ab,
  6. Das Leben allgemein: Ziele, Visionen und Erwartungen beeinflussen das Handeln ständig.

Bewahren Sie den Gesamtüberblick

Eine Abgrenzung dieser Kategorien dürfte im wirklichen Leben deutlich schwerer fallen als im Modell. Es ist sinnvoll, wenn sich jede Ebene nach der darüber liegenden Ebene ausrichtet und auch aus dieser Perspektive verbessert wird. David Allen veranschaulicht das an folgendem Beispiel: «Das Telefonat, das Sie führen müssen (Handeln), bezieht sich auf den Abschluss, an dem Sie arbeiten (Projekt), und dieser würde die Verkaufszahlen steigern (Verantwortungsbereich). Mit diesem speziellen Vertrag bekämen Sie die Chance, innerhalb der Verkaufsabteilung aufzusteigen (Berufsziel), da Ihre Firma einen neuen Markt erschließen will (Unternehmensvision). Und Sie wiederum wären dem gewünschten Lebensstil sowohl finanziell als auch beruflich ein Stück näher gekommen (Leben allgemein).» Der Gesamtüberblick -rückt die Arbeit, das Privatleben und alle anderen Bereiche, die unser Leben berühren, in einen neuen Blickwinkel und hilft, die Prioritäten neu zu setzen und Entscheidungen zu treffen. «Achten Sie darauf, welcher Horizont Sie herausfordert», rät der Autor.

Lose Enden erfassen

Organisieren bedeutet, die nächsten Handlungsschritte setzen. Wer sich aber seiner Aufgabe nicht bewusst ist, dem wird sie nicht lösbar erscheinen. Deshalb motiviert Allen in einem ersten Schritt dazu, alle losen Enden zu erfassen. «Tragen Sie alle Unterlagen an einem Ort zusammen, arbeiten Sie diese durch, schaffen Sie Ordnung und beschließen Sie erst dann den nächsten Schritt.» Die Eingänge bleiben nicht im Eingangskorb – sie werden aufgearbeitet. «Arbeiten Sie den Stapel von oben nach unten durch und erfassen Sie Ihre Aufgaben», empfiehlt David Allen. Dazu benutzen Sie einen Ablagekorb und beliebiges Papier. Die Durchsicht wird Anfangs etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. «Nehmen Sie sich diese Zeit bewusst», rät der Autor. Die «Zwei-Minuten-Regel» hält er für besonders effizient. Alles, was weniger als zwei Minuten dauert, erledigt man am besten sofort. Alles andere – beispielsweise den aktuellen Stand eines Projektes dokumentieren – erfordert bestimmte Arten von Listen, auf denen ähnliche Positionen überschaubar zusammengefasst werden. Listen lassen sich auf losen Blättern oder mit moderner Computertechnik führen.

Die physischen Grundlagen

Ständiges Sammeln, Überdenken, Durcharbeiten und Organisieren fordert schon genug. Sorgen Sie dafür, dass alles, was Ihnen das Leben leichter macht, verfügbar ist. Es gibt mehrere – technisch einfache und auch ausgefeilte – Werkzeuge, mit denen offene Angelegenheiten erfasst werden können.
Produktivität ist von mehreren Faktoren abhängig.

  • Der Arbeitsplatz: Wer sich an seinem Arbeitsplatz wohl fühlt, wird inspiriert und die Arbeit macht Spaß. Der Büroausstattung wird in den meisten Fällen viel zu geringe Bedeutung geschenkt. Egal, ob sich der Arbeitsplatz in der Firma oder zu Hause befindet, ein eigener Schreibtisch ist die Grundvoraussetzung. Von diesem Platz aus werden alle Arbeiten abgewickelt. Wer nur in der Firma ein Büro hat, sollte auch zu Hause eine Arbeitsecke einrichten. Die kreativsten Momente erlebt man häufig am Wochenende und in der Freizeit. Diese schöpferischen Phasen sollte man ausnützen, Schreibgerät und Papier deshalb immer zur Hand sein.
  • Das Büro: In vielen Unternehmen feiert das mobile Büro seinen Einzug. David Allen sieht diese Entwicklung kritisch. Denn Vorteil eines festen Arbeitsplatzes ist, dass Unterlagen und Nachschlagewerke, die manchmal einen großen Umfang annehmen können, griffbereit sind und nicht mittransportiert werden müssen.
  • Das Ablagesystem: «Wenn es bei der täglichen Arbeit länger als 60 Sekunden dauert, etwas zu den Akten zu nehmen, werden Sie es nicht in das System aufnehmen, sondern irgendwo stapeln», ist David Allen überzeugt. Ein leitender Manager bestätigte seine Theorie in einem E-Mail: «Ich habe alle meine Akten zu Hause und am Arbeitsplatz neu angelegt – das hat mich nur vier zusammenhängende Tage gekostet, aber das Hängesystem ist weg, und dafür habe ich jetzt ein Ablagesystem von A-Z. Das ist viel einfacher. Außerdem ist mein Schreibtisch besser aufgeräumt, ohne all diese Stapel mit Dingen, die zu den Akten gehören.» Ein einziges alphabetisches Ordnungssystem hat die Arbeit erleichtert. Wobei Handakten immer in greifbarer Nähe aufbewahrt werden. Auch wer eine Sekretärin hat, sollte nicht auf das persönliche Ordnungssystem verzichten. Dieses Stück Unabhängigkeit macht sich spätestens dann bezahlt, wenn die verlässliche Kraft Urlaub macht.

Projekte planen

David Allen hat mit tausenden Berufstätigen an vorderster Front gearbeitet und dabei entdeckt, dass alle sowohl im Beruf als auch im Privatleben mehr Planung nötig hatten. Wie viel Planung ein Projekt braucht, ist unterschiedlich. Allens Antwort lautet: So viel, dass es nicht mehr im Kopf herumspukt. Viele Dinge gehen uns nicht mehr aus dem Sinn, da die nächsten Handlungsschritte nicht oder nicht ausreichend festgelegt wurden. Allen unterscheidet aus diesen Gründen drei Kategorien von Projekten:

  • Bei 80 Prozent genügt es, das Ergebnis und die nächsten Schritte festzulegen,
  • 15 Prozent bedürfen eines zusätzlichen Brainstormings, da das Ergebnis oder die Handlungsschritte noch unklar sind,
  • nur bei 5 Prozent aller Projekte sind eine oder mehrere Phasen der natürlichen Projektplanung notwendig.

Der größte Teil der zu bewältigenden Aufgaben benötigt demnach nicht viel Zeit.

Ziele setzen

Viele Projekte erscheinen auf den ersten Blick festgefahren. Das kann an der schlecht strukturierten Planung liegen. Brainstorming ist eine Methode, um den Zweck der Aktion nochmals zu überdenken. Eine Hürde sind auch unklare Aufgabenverteilungen. «Beenden Sie keine Sitzung, ohne den nächsten Schritt zu beschließen», gibt Allen seinen Kunden mit auf den Weg. Aussichtsreiches Arbeiten ist nur mit einem klaren Ziel vor Augen möglich. Und Allen räumt mit einem weiteren Irrtum auf. Projekte können nicht durchgeführt werden. Es können immer nur einzelne Handlungsschritte gesetzt werden, deren Erledigung den Abschluss eines Projektes bedeutet.

Das Gedächtnis unterstützen

Das Ziel von «Wie ich die Dinge geregelt kriege» ist, einen freien Kopf zu bekommen, um kreativer und produktiver zu werden. Sie dürfen ruhig beschließen, nichts zu beschließen – solange Sie eine systematische Sicherung einbauen. Das kann zum Beispiel ein Terminvermerk im Kalender sein. Den von vielen Autoren gepriesenen «To-do-Listen» kann Allen nicht viel abgewinnen, sie seien zeit-raubend. Unerledigte Aufgaben müssten extra aufgeschrieben werden und die Priorität der unterschiedlichen Handlungen sei auf einer unstrukturierten Liste nicht klar erkennbar.
Sie wollen Projekte und Situationen aus dem Kopf bekommen, dabei aber keine nützlichen Ideen verlieren? Deshalb kommt auch Allens System nicht ganz ohne Listen für die unterschiedlichen Handlungsschritte aus. Die gebräuchlichen Kategorien der Gedächtnisstützen sind: Anrufe, am Computer, Besorgungen, im Büro, zu Hause, anzusprechende Punkte (bei Personen und Meetings), lesen/noch einmal durchgehen. Geht man die Gedächtnisstützen so oft wie nötig durch und aktualisiert sie gegebenenfalls, bewahrt man den Überblick. Nur wenn der Kopf frei ist und die Gedanken organisiert sind, können wir ohne Stress effizient sein.

Die Zeit nutzen

Der Blick in den geballten Terminkalender verursacht psychischen Stress. Dabei ist vielen nicht bewusst, wie viel Zeit auch an einem strengen Tag ungenützt bleibt. Wer den Überblick über seine Aufgaben hat, kann zum Beispiel auch die Pausen zwischen zwei Meetings nutzen. Denn das eine oder andere Telefonat ist in weniger als zwei Minuten erledigt. Das hat mehrere positive Folgen: die Liste der «aktuellen Handlungen» wird kürzer und das Gefühl der Unproduktivität kommt erst gar nicht auf.
Listen sind listreich. Denn mit der Entscheidung, den nächsten Schritt zu setzen, wird das Gehirn intelligent zum Schweigen gebracht. An der Tatsache, dass viel Arbeit wartet, ändert sich dadurch nichts. Doch allein durch die Vorstellung einer machbaren und abschließbaren Aufgabe nehmen positive Energie, Entschlossenheit und Motivation spürbar zu. Die Konzentration steigt, die Gedanken gleiten nicht mehr ab und dem Unterbewusstsein wird signalisiert, dass man alles unter Kontrolle hat.

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