Was wirklich hinter dem Finanzgenie Warren Buffett steckt – die menschliche Seite des Grand Seigneurs der Börse.
Er trägt seit Jahrzehnten dieselben dickrandigen Hornbrillen, die irgendwann in den 1960ern Mode waren. Sein Erscheinungsbild ist ordentlich, stets korrekt, aber nie auffällig. Er schätzt die simplen Dinge des Lebens wie Baseball und Coca Cola. Er lebt noch heute in der Stadt, in der er geboren wurde und von der man hierzulande höchstens den Namen, mit Sicherheit jedoch nicht mehr als diesen kennt: Omaha, Nebraska. Eigentlich könnte man diesen freundlichen älteren Herrn als ein skurriles Relikt aus einer verblichenen Epoche abtun, aber es gibt da etwas, das diesen Mann aus der Masse heraushebt, das ihn interessant macht: Er hat mit Aktien ein unermessliches Vermögen gemacht, mehr als jeder andere Mensch zuvor. Die Rede ist von Warren Buffett, dem reichsten Mann der Welt nach Bill Gates.
«Woodstock für Kapitalisten»
Buffett ist in den USA eine lebende Legende. Zu den Aktionärsversammlungen seiner Investmentfirma, die jedes Frühjahr in Omaha stattfinden, pilgern Zehntausende. Buffett selbst nennt die turbulente Veranstaltung scherzhaft «Woodstock für Kapitalisten». Es heißt, manche unter den Teilnehmern hätten ihre Anteile an Berkshire Hathaway nur deshalb gekauft, um an der Hauptversammlung teilnehmen zu können. Denn Warren Buffett persönlich zu erleben, ist alles andere als leicht.
Der erfolgreichste Investor der Welt hat keine Ambitionen auf jene mediale Dauerpräsenz, wie sie für Männer wie Bill Gates oder Steve Jobs charakteristisch ist. Buffett ist diskreter. Vergeblich wird man auch nach Büchern von ihm suchen. Er hat kein Einziges geschrieben. Zwar gibt es Interviews und Essays, aber die ausführlichsten Äußerungen Buffetts findet man in den jährlichen Geschäftsberichten von Berkshire Hathaway. Seine Verplichtung gilt den Aktionären, nicht der Öffentlichkeit, denn Investieren und Gewinne machen ist sein Leben.
Jugendjahre eines Finanzgenies
Über die Person Warren Buffett ist in Europa wenig bekannt. Fast scheint er ein wenig wie eine mythische Gestalt, die mehr symbolische als konkrete Präsenz besitzt. Aber selbstverständlich ist er ein Mensch aus Fleisch und Blut mit einer ganz normalen Biographie. Warren Buffett wurde am 30. August 1930 in Omaha geboren. Sein Vater, Howard Buffett, war ein republikanischer Kogressabgeordneter und lokaler Börsenmakler, der vom Börsencrash von 1929 arg gebeutelt wurde. Buffett selbst hat später gescherzt, wenn es den Börsencrash nicht gegeben hätte, der seinen Vater dazu veranlasste, sich wochenlang zu Hause bei seiner Frau zu verkriechen, um seinen wütenden Anlegern nicht Rede und Antwort stehen zu müssen, wäre er vielleicht gar nicht gezeugt worden. Buffetts Leben war also vom allerersten Ursprung von der Börse bestimmt. So schreibt man Legenden.
Tatsache ist, dass Warren von Kindheit an eine Lust an der Geldvermehrung verspürte. Als er sechs war, kaufte er sich einen Sechserpack Cola für 25 Cent und verkaufte die Flaschen für fünf Cent pro Stück in der Nachbarschaft. Der Reingewinn betrug 16 Prozent.
Die ersten Investitionen
Gesichert ist auch, dass er im Alter von elf Jahren bereits in der Investmentfirma seines Vaters arbeitete. Seine Aufgabe war, die aktuellen Kurse an eine Tafel zu schreiben. Im selben Jahr erwarb er seine ersten eigenen Aktien. Das Unternehmen hieß «Cities Service Preferred», die Aktie kostete 38 Dollar. Buffett kaufte drei Stück. Sofort fiel der Kurs auf 27 Dollar pro Aktie, um dann wieder auf 40 Dollar anzusteigen. An diesem Punkt verkaufte Buffett und machte 5 Dollar Gewinn. Allerdings verpasste er den anschließenden Höhenflug des Kurses auf 200 Dollar. Er hatte seine erste Lektion gelernt. Sie hieß: Geduld.
Nach Abschluss der Highschool wollte Warren Buffett eigentlich sofort ins Aktienbusiness einsteigen, aber sein Vater verdonnerte ihn zu einem Universitätsstudium. Diese «Entscheidung» erwies sich als äußerst nützlich, wenn nicht gar als essenziell für Buffetts spätere Karriere, auch wenn er bis heute nicht viel von Wirtschaftswissenschaften hält. (Tatsächlich befindet Buffett das meiste, was an den ökonomischen Fakultäten über den Aktienmarkt gelehrt wird, für ausgemachten Blödsinn.) An der Universität von Nebraska stieß Buffett jedoch auf ein Buch eines gewissen Benjamin Graham mit dem Titel «The Intelligent Investor» (deutsch: «Intelligent investieren»). Die in diesem Buch grundgelegten Prinzipien bestimmten künftig Buffetts Anlegestrategie, – und sie tun es bis heute.
Der große Lehrmeister
Grahams Buch war 1949 erschienen, aber sein Inhalt hat bis heute so gut wie nichts an Aktualität eingebüßt. Sein Grundtenor lautet: preisgünstig kaufen. Aber wie weiß man, welche Aktien wirklich preiswert sind? Graham empfiehlt, gezielt nach Unternehmen Ausschau zu halten, die vom Markt geschmäht und unterbewertet werden. Ausgangspunkt für eine Investmententscheidung müsse der «innere Wert» einer Aktie sein, den es zu berechnen gelte. Wenn dieser innere Wert einen bestimmten Betrag über dem notierten Börsenwert liege – Graham nennt diesen Abstand die «Sicherheitsmarge» –, dann solle man kaufen, und zwar in großem Ausmaß. Der Rest ist geduldiges und zuversichtliches Warten auf den Kursanstieg.
Buffett verfolgt bis heute diesen Ansatz, und er ist derart treffsicher in seinen Investments, dass ihn Journalisten «das Orakel von Omaha» getauft haben, ein Titel, der von seinen Anhängern dankbar übernommen und gerne verwendet wird. Buffett selbst besteht allerdings darauf, streng mathematisch und rational vorzugehen. Verkürzt könnte man sein Credo so formulieren: Nicht hoffen, dass der Kurs von erworbenen Aktien steigen wird, sondern wissen!
Was den Investor auszeichnet
Das ist es auch, was für Buffett den Unterschied zwischen einem Investor und einem Spekulanten ausmacht: Der Investor hat sich hinlänglich über ein Unternehmen informiert, dessen Aktien er erwerben will. Und er investiert nur in ein Unternehmen, das ihm auch gefällt. Denn der Investor erwirbt nicht Wertpapiere, sondern Anteile an einer Firma mit Fertigungsstätten, Angestellten, Managern und Produkten. Er betrachtet sich nicht als bloßen Aktienbesitzer, sondern als Eigentümer eines Unternehmens, und niemand will ein Unternehmen besitzen, das wertlos ist und wäre der Aktienkurs auch noch so attraktiv. Auf lange Sicht ist dies der einzige Weg, um Verlusten aus dem Weg zu gehen.
Back to Omaha
Nach Abschluss seines Wirtschaftsstudiums begann Buffett in Grahams Firma zu arbeiten und lernte die Anlagestrategie seines Idols im Detail und in der Praxis kennen. 1956 kehrte er nach Omaha zurück. Er war jetzt bereit, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Ausgestattet mit 105.000 Dollar von sieben Teilhabern und gerade einmal 100 Dollar eigenem Kapital gründete er eine Investmentgesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt war er 25 Jahre alt. In den folgenden 13 Jahren vermehrte Buffett das Kapital seiner Gesellschaft jährlich um durchschnittlich 29,5 Prozent. Während der Dow Jones Index in fünf dieser Jahre Verluste schrieb, erlebte Buffetts Firma kein einziges rückläufiges Jahr.
Langsam begann sich Buffetts Geschicklichkeit herumzusprechen und immer mehr Leute vertrauten ihm Geld an. 1962 verlegte er daher den Sitz seiner Gesellschaft von seiner Wohnung an eine respektable Adresse an den Kiewit Plaza in Omaha, wo sich sein Büro bis heute befindet. Zur selben Zeit begann er Anteile an einem Textilunternehmen mit dem Namen Berkshire Hathaway zu erwerben. Im darauf folgenden Jahr landete Warren Buffett einen Coup, durch den erstmals eine breitere Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam wurde.
Buffett kauft ein
Ausgerechnet als das Kreditkartenunternehmen American Express von einem Finanzskandal erschüttert wurde und der Aktienkurs von 65 auf 35 Dollar abstürzte, kaufte Buffett Aktien im Wert von 13 Millionen Dollar – das waren 40 Prozent vom Gesamtkapital seiner Gesellschaft. Alles was Buffett weiter tat, war abwarten. Und nach drei Jahren hatte sich der Kurs der American Express Aktie verdreifacht.
Es waren solche Aktionen, die Buffetts Ruf als «Orakel von Omaha» begründeten. Er hatte jedoch streng nach den Regeln Grahams gehandelt: Wenn Aktien eines starken Unternehmens unter Wert gehandelt werden, dann muss man kaufen. Das war alles. Und so machte er es weiterhin.
Berkshire Hathaway
1969 löste Buffett seine Investmentgesellschaft auf, zahlte die Teilhaber aus und investierte sein Kapital – inzwischen 25 Millionen Dollar – in das Textilunternehmen Berkshire Hathaway, das in Schwierigkeiten steckte und daher billig zu haben war. Als Mehrheitseigentümer wurde Buffett bald klar, dass das eigentliche Kerngeschäft von Berkshire Hathaway kaum mehr in die Profitzone zu bringen war, zu stark hatten sich die Rahmenbedingungen im Textilsektor verändert. Umso mehr verstärkte er die Hinwendung zu anderen Geschäftsfeldern, vor allem zu Versicherungen.
Heute umfasst das Portfolio von Buffetts Investmentfirma neben mehreren Versicherungen so unterschiedliche Unternehmen wie den Süßwarenproduzenten «See’s Candy Shop», den Möbelmarkt «Nebraska Furniture Mart», den Juwelier «Borsheim’s», den Privatjetverleih «Executive Jet» – und einen dicken Anteil an «Coca Cola». Die Textilfirma Berkshire Hathaway überlebte nicht, aber die aus ihr hervorgegangene Investmentgesellschaft desselben Namens setzte zu einem Höhenflug an, der bis heute andauert.
Ménage à trois
Als Privatmann ist Buffett nicht immer so geradlinig wie in seinen Investmententscheidungen. Obwohl seine 2004 verstorbene Frau Susan lange bei offiziellen Anlässen an seiner Seite auftrat, wohnten die Eheleute, die drei gemeinsame Kinder haben, schon seit den späten 1970er Jahren getrennt. Seither lebt Buffett mit Astrid Menks, einer ehemaligen Kellnerin aus Litauen, die ihm sogar von seiner Frau vorgestellt worden sein soll. Das Arrangement schien sich bewährt zu haben. Es kam vor, dass Buffett Geschenke an Freunde und Verwandte mit der Widmung «Von Warren, Susie und Astrid» versah. Inzwischen hat er die langjährige Partnerin an seinem 76. Geburtstag, am 30. August 2006, geheiratet.
Auch im Privatleben mag Buffett keine ungeklärten Verhältnisse. Davon können seine Kinder ein Lied singen. Es heißt, Buffett habe sich einmal von seiner Tochter Susie eine Quittung schreiben lassen – für einen Zwanzig-Dollar-Schein, den sie brauchte, um ihr Auto aus der Flughafengarage auszulösen.
Vielleicht war diese Episode nur ein weiteres Beispiel für Buffetts berüchtigt trockenen Humor. Einmal gestand ihm ein Bewunderer: «Ich liege jede Nacht wach und mache mir Sorgen, was wohl sein wird, wenn Sie einmal nicht mehr da sind.» Buffett entgegnete nur: «Ich auch.»